Montag, 1. August 2011

BVerwG: Untersagungsverfügungen können nicht pauschal auf fehlende Erlaubnis gestützt werden

Die schriftlichen Urteilsgründe des Bundesverwaltungsgerichts liegen vor. Jetzt besteht Rechtsklarheit: Untersagungsverfügungen können nicht pauschal auf eine fehlende Erlaubnis gestützt werden.

Klagen der Sportwettvermittler dürften nunmehr bundesweit Erfolg haben.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in einem durch unsere Kanzlei geführten Revisionsverfahren gegen eine Entscheidung des VGH Baden-Württemberg bereits am 1. Juni 2011 das Urteil (BverwG 8 C 2.10) mündlich verkündet hatte, sind nunmehr die schriftlichen Urteilsgründe eingetroffen.

Das auch von vielen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schafft abschließende Rechtsklarheit hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes bezüglich der Prüfung von Verfassungs- und Europarecht, vor allem aber auch zu der Frage, ob - ungeachtet der Gemeinschaftswidrigkeit des Sportwettmonopols, welche durchgängig von allen Gerichten gesehen wird - auf eine fehlende Erlaubnis abgestellt werden kann oder eben nicht.

Hinsichtlich des Sachverhaltes ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin des Verfahrens in einer Spielhalle und in Gaststätten über Wettterminals und Wettannahmen Sportwetten an eine in Malta konzessionierte Firma vermittelt hat. Die Tätigkeit der Sportwettvermittlung war ihr bereits vor Inkrafttreten des Glückspielstaatsvertrages bei Androhung von Zwangsgeld untersagt worden. Hiergegen war Klage erhoben worden, die in erster und zweiter Instanz keinen Erfolg hatte. Die Revision gegen das Urteil des VGH Baden-Württemberg hatte nun Erfolg.

Zunächst hat das Bundesverwaltungsgericht sich erneut zur Frage der Zulässigkeit der Werbung der staatlichen Lotterie-und Sportwettanbieter geäußert. Es führt aus, dass eine Werbung für das staatliche Sportwettmonopol, welche in stimulierender Weise auf herausragende Sportereignisse Bezug nehme, unzulässig sei. Gleiches gelte auch für die Verknüpfung rein informativer Hinweise auf bestimmte Sportereignisse mit der Ankündigung höherer oder zusätzlicher Gewinnchancen. Unzulässig sei auch eine Aufmachung, die dem Empfänger der Botschaft Entscheidungsdruck suggeriere.

Die Annahme des VGH Baden-Württemberg, dass eine allgemeine Imagewerbung des Deutschen Lotto-und Totoblocks grundsätzlich unbedenklich sei, ist rechtsfehlerhaft, so der 8. Senat in seiner Entscheidung.

Werbung dürfe grundsätzlich nicht zum Wetten oder Spielen animieren oder motivieren. Letztlich dürften allenfalls bereits zum Spielen Entschlossene angesprochen werden, indes darf niemand, der noch nicht entschlossen ist, dazu animiert werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hätte die ihm insoweit vorgelegten Werbebeispiele berücksichtigen müssen, so das Gericht nun in seinen Ausführungen. Den Urteilsgründen ist in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die vorgelegten Werbebeispiele dem Prüfungsmaßstab wohl nicht genügt hätten.

Das Bundesverwaltungsgericht macht schließlich klar, dass schon ein insoweit gegebener Verfassungsverstoß zur Rechtswidrigkeit der Verfügung führt.

Sodann führt das Bundesverwaltungsgericht in Fortsetzung seiner Rechtsprechung aus seinen Entscheidungen vom 24.11.2011 (8 C 14.09) aus, dass der VGH Baden-Württemberg auch eine unzutreffende europarechtliche Prüfung vorgenommen habe.

Das Urteil des VGH Baden-Württemberg verstoße gegen die unionsrechtliche Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Das Kohärenzkriterium sei unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 08.09.2010 fehlerhaft geprüft worden.

Der Erlaubnisvorbehalt und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Wetten an Private stelle eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Freiheiten dar. Es müssten hiernach 4 Voraussetzungen gegeben sein, damit diese Regelungen mit Unionsrecht in Einklang stünden.

Die 4. Voraussetzung, nämlich dass das Monopol verhältnismäßig und geeignet sein müsse, sei seitens des VGH Baden-Württemberg fehlerhaft geprüft worden. Hier habe das Gericht auf einen sektoralen Prüfungsmaßstab abgestellt, statt eine Gesamtkohärenzprüfung unter Einbeziehung aller Glückspielbereiche vorzunehmen.

Dabei müsse nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Ausgestaltung überprüft werden. Hierbei seien insbesondere die Regelungen zum gewerblichen Automatenspiel in den Blick zu nehmen. Auch in diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf die Werbepraxis der Lotteriegesellschaften. Sodann verweise ich zur Vermeidung von Wiederholungen auf die bereits bekannten Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.11.2010 und die Urteile des EuGH vom 08.09.2010.

Anzumerken ist dabei, dass zwischenzeitlich nahezu alle deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in ihren Entscheidungen seit dem 08.09.2010 (Urteil des EuGH) die Meinung vertreten, dass ein unionswidriges Monopol besteht. Davon geht im Übrigen auch die Politik aus, die einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen will und muss.

Besonders maßgeblich sind dann aber die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts am Ende seiner Entscheidung. Zwischen den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten war insoweit zuletzt streitig, ob trotz eines gemeinschaftswidrigen Monopols noch die Erlaubnisvorbehaltsnorm des Glückspielstaatsvertrages weiter angewandt werden könne.

Hier sorgt das Bundesverwaltungsgericht nunmehr für Klarheit. Es führt sinngemäß aus:

Eine solche, umfassende Untersagung kann nicht schon unabhängig von der Wirksamkeit des Wettmonopols rechtmäßig sein. Eine solche Verfügung lässt sich nicht mit der Argumentation aufrecht erhalten, dass die Klägerin ohne Erlaubnis Wetten vermittelt sowie unter Verstoß gegen das Livewett- oder Internetverbot Sportwetten anbiete.

Zum einen seien hierzu seitens der Behörde keine konkreten Feststellungen vor Erlass der Verfügung getroffen worden. Zum anderen kämen im Zweifel zunächst Nebenbestimmungen in Betracht. ...

Zudem habe der Beklagte sein Ermessen nicht mit Blick auf die dann später angeführten Gesichtspunkte ausgeübt. Ermessenserwägungen könnten aber im gerichtlichen Verfahren nur ergänzt, nicht ausgewechselt werden (vgl. § 114 S. 2 VwGO).

Schließlich sei nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen gegeben wären, unter denen das behördliche Ermessen ausnahmsweise zu Lasten der Klägerin auf Null reduziert wäre. ...

Damit stellt das höchste deutsche Verwaltungsgericht unzweifelhaft fest, dass die zuletzt von einigen Gerichten vertretene Auffassung, dass man eine Verfügung, die zunächst auf das Monopol als solche gestützt wurde, nicht dahingehend abändern oder gar auslegen kann, dass man nunmehr von einer verbleibenden Teilanwendung der Erlaubnisvorbehaltsnorm ausgehe könne.

Das Gericht macht nicht nur deutlich, dass der Erlaubnisvorbehalt steht und fällt mit den oben genannten verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Gesichtspunkten, sondern vor allem auch, dass eine Verfügung nicht auf das pauschale Fehlen einer Erlaubnis gestützt werden kann. Zudem stellt es klar, dass die Behörden nicht während der laufenden Gerichtsverfahren eine Auswechselung ihrer Ermessenserwägungen vornehmen können, wie in einigen Verfahren zuletzt geschehen.

Von Bedeutung ist schließlich, dass das Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall einer Wettvermittlung über Terminals in einer Spielhalle und Gaststätten nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgeht. Dies bedeutet, dass das Bundesverwaltungsgericht diese vorgenannten Besonderheiten nicht dahingehend für relevant hält, dass Sportwettterminals in Spielhallen grundsätzlich unzulässig sind, sondern diese Fälle genauso auf Verfassungs- und Gemeinschaftskonformität des Sportwettmonopols zu prüfen sind, wie die Fälle sonstiger, klassischer Wettannahmestellen.

Stellt man den Verfassungs- und/oder Gemeinschaftsrechtsverstoß fest, sind derartige Verfügungen rechtswidrig.


Nachdem nahezu alle deutschen Gerichte zuletzt die Gemeinschaftswidrigkeit des Monopols festgehalten haben (darunter ca. 20 deutsche Verwaltungsgerichte in erster Instanz und mehrere Oberverwaltungsgerichte in Eilverfahren) und es nur noch um die Frage ging und geht, ob denn jedenfalls die Verfügung nun noch auf eine isolierte Anwendung der Erlaubnisvorbehaltsnorm gestützt werden könne, ist dies Frage nun höchstrichterlich als geklärt anzusehen. Der dahingehenden Argumentation einiger Oberverwaltungsgerichte, der Erlaubnisvorbehalt greife isoliert weiter, folgt das Bundesverwaltungsgericht gerade nicht. Der Unterzeichner selbst hatte das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung und in einigen Schriftsätzen darum gebeten, hier konkret Stellung zu nehmen, damit endlich auch zu diesem Punkt Rechtsklarheit besteht. Sämtliche Ordnungsverfügungen gegen private Sportwettvermittler dürften danach aus unserer Sicht ohne Zweifel rechtswidrig sein. Die Gerichte, die auf diese Entscheidungsgründe gewartet haben, können nun zügig durchentscheiden, was nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten auch dringend geboten erscheint.

Zudem lässt sich die Auffassung einiger Behörden, die insbesondere in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz noch Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt haben, nicht mehr aufrecht erhalten. Auch diese Bundesländer werden ihre Vollzugspraxis überdenken müssen, nachdem sie trotz eindeutiger Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts bis zuletzt unter Verstoß gegen Europarecht und des Risikos späterer Zahlung massiver Schadenersatzansprüche an private Wettvermittler, Schließungsverfügungen vollzogen haben.

Auch die zuletzt ergangen Entscheidungen des OVG Niedersachsen erweisen sich hiernach als eklatant falsch. Das dortige Gericht meinte zuletzt, allein auf den Erlaubnisvorbehalt abstellen zu können ohne Europarecht oder Verfassungsrecht überhaupt prüfen zu müssen. Diese Argumentation lässt sich hiernach ebenfalls nicht mehr halten, wobei mangels Bestehen eines europarechtskonformen Erlaubnisverfahrens diese Argumentation ohnehin nicht überzeugen kann.

Insgesamt dürfte nunmehr für die noch laufenden Gerichtsverfahren abschließende Klarheit bestehen.

Kontakt:
Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Rechtsanwalt Guido Bongers
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D - 61348 Bad Homburg


Urteil: BverwG 8 C 2.10 (pdf-download)


BVerwG 8 C 2.10

Leitsatz:

1. Eine Werbung für das staatliche Sportwettenmonopol, die in stimulierender Weise auf herausragende Sportereignisse Bezug nimmt, ist unzulässig. Gleiches gilt für die Verknüpfung auch rein informativer Hinweise auf bestimmte Sportereignisse mit der Ankündigung höherer oder zusätzlicher Gewinnchancen. Unzulässig ist auch eine Aufmachung, die dem Empfänger Entscheidungsdruck suggeriert.

2. Wird die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit durch die Errichtung eines staatlichen Sportwettenmonopols eingeschränkt, so gebietet das unionsrechtliche Erfordernis der Kohärenz weder die Uniformität sämtlicher Glücksspielregelungen noch eine Optimierung der mit dem Monopol verfolgten Ziele. Es verlangt, dass die rechtliche oder tatsächliche Ausgestaltung anderer Glücksspielbereiche mit vergleichbarem oder höherem Suchtpotenzial der Monopolregelung nicht mit der Folge entgegenwirken darf, dass das Monopol zur Verwirklichung der mit ihm verfolgten Ziele nicht mehr beitragen kann (im Anschluss an das Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 14.09 -).

Auszug aus dem Urteil:

Rn. 34
Richtig ist, dass eine allgemeine Imagewerbung und die Verwendung einer Dachmarke nicht zwangsläufig unzulässig sind (vgl. Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 52). Eine solche Werbung muss sich aber ebenfalls auf sachliche Information und Aufklärung über legale Wettmöglichkeiten beschränken. Sie darf auf die Legalität und Seriosität des Monopolangebots hinweisen, aber nach ihrem Aussagegehalt nicht zum Wetten motivieren. Die zulässige Kanalisierung der Wettleidenschaft rechtfertigt nur, bereits zum Wetten Entschlossene zum Monopolangebot hin zu lenken, nicht jedoch, noch Unentschlossene zur Teilnahme an Wetten anzureizen oder zu ermuntern (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 48). Unzulässig sind daher stimulierende Bezugnahmen auf herausragende Sportereignisse oder die Verknüpfung auch rein informativer Hinweise mit der Ankündigung von Sonderausschüttungen oder anderen höheren oder zusätzlichen Gewinnchancen. Auch eine Aufmachung, die etwa durch befristete Angebote Entscheidungsdruck suggeriert, ist nicht erlaubt. Weist der Monopolträger auf eine Verwendung der Wetteinnahmen hin, ist dies unbedenklich, wenn es sich nach der konkreten Aufmachung nur um eine sachliche Information im Sinne einer Rechenschaftslegung ohne Bezug zu konkreten Spielmöglichkeiten handelt. Dagegen darf der Hinweis nicht mit einem solchen Bezug verknüpft und das Wetten selbst nicht zum sozialadäquaten oder gar wünschenswerten, positiv zu beurteilenden, sozialverantwortlichen Handeln aufgewertet werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 Rn. 39, 47, 57; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 51).

Rn. 35
Dass der Verwaltungsgerichtshof die ihm im Parallelverfahren - VGH 6 S 1110/07 (BVerwG 8 C 4.10) - vorgelegten Werbebeispiele nicht als Anhaltspunkte für eine systematisch zum Wetten anreizende Werbung gewertet hat und den entsprechenden Beweisanregungen nicht nachgegangen ist, lässt auf einen fehlerhaften rechtlichen Maßstab schließen. Die Verknüpfung populärer Sportereignisse mit befristeten Sonderausschüttungen und zum Teil hochwertigen „Boni“ hat stimulierenden Charakter und ist nach ihrem Aussagegehalt darauf gerichtet, auch bis dahin Unentschlossene zum Wetten zu veranlassen.

Rn. 36
c) Dagegen ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Da er nur den jeweils zuständigen Normgeber verpflichtet, im Wesentlichen gleiche Sachverhalte gleich zu regeln, begründen Unterschiede zur bundesrechtlichen Normierung der Pferdesportwetten und des Betriebs der Geldspielautomaten keinen Gleichheitsverstoß. Die Fortgeltung der vereinzelt noch bestehenden, in der ehemaligen DDR erteilten Wettkonzessionen stellt mangels Regelungskompetenz des Landes Baden-Württemberg ebenfalls keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Glücksspiele im Rundfunk und in anderen Telemedien (vgl. §§ 8a, 58 Abs. 4 RStV) werden vom Glücksspielstaatsvertrag erfasst (vgl. LTDrucks 14/1930 S. 6 zu § 3 GlüStV; LTDrucks 14/2705 S. 26 zu § 8a RStV; Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 54). *

Rn. 38
4. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verstößt auch gegen die unionsrechtliche Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit. Die berufungsgerichtliche Annahme, die durch den Glücksspielstaatsvertrag bewirkten Beschränkungen seien mit beiden Grundfreiheiten vereinbar und wahrten den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gründet sich auf eine unrichtige Anwendung des Kohärenzkriteriums, das der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung als Maßstab für die Geeignetheit des Eingriffs im unionsrechtlichen Sinne näher konkretisiert hat.

Rn. 39
Die Klägerin unterfällt in sachlicher und persönlicher Hinsicht dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, soweit nicht die Niederlassungsfreiheit eingreift. Da sich die hier entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht unterscheiden, muss nicht geklärt werden, welches der beiden Freiheitsrechte einschlägig ist. Der Anwendung der Dienstleistungs- oder der Niederlassungsfreiheit auf die Vermittlung von Sportwetten stehen auch keine anderweitigen unionsrechtlichen Bestimmungen entgegen (vgl. Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 59).

Rn. 40
Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter - auch - in anderen Mitgliedstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung dieser Freiheit dar. Derartige staatliche Maßnahmen müssen vier Voraussetzungen erfüllen, um mit Unionsrecht in Einklang zu stehen: Sie müssen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt), Art. 52 AEUV (öffentliche Ordnung; Sicherheit; Gesundheit) oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Rn. 44
b) Das Berufungsgericht hat aber revisionsrechtlich fehlerhaft angenommen, das Sportwettenmonopol sei im unionsrechtlichen Sinne verhältnismäßig und insbesondere geeignet, die legitimen Ziele der Suchtbekämpfung und des Spieler- und Jugendschutzes zu erreichen.

Rn. 45
Eine Monopolregelung, die auf diese zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, muss ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67, vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - NVwZ 2010, 1081 Rn. 21 sowie vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 88 ff. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 55, 64 ff.). Innerhalb dieses sog. Kohärenzgebots lassen sich zwei Anforderungen unterscheiden. Zum einen muss der Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen die beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren sollen, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele - namentlich solche finanzieller Art - anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003, Gambelli, a.a.O. Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 65; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 77, 80). Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden. Zwar ist der Mitgliedstaat nicht verpflichtet, in sämtlichen Glücksspielsektoren dieselbe Politik zu verfolgen; das Kohärenzgebot ist kein Uniformitätsgebot (vgl. EuGH, Urteile vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 95 f. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 62 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 10. März 2009 - Rs. C-169/07, Hartlauer - Slg. 2009, I-1721 Rn. 60). Es verlangt auch keine Optimierung der Zielverwirklichung. Das gewinnt Bedeutung namentlich in Mitgliedstaaten wie Deutschland, zu deren Verfassungsgrundsätzen eine bundesstaatliche Gliederung in Länder mit je eigener Gesetzgebungsautonomie gehört (vgl. Art. 28 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG). Jedoch dürfen in anderen Glücksspielsektoren - auch wenn für sie andere Hoheitsträger desselben Mitgliedstaates zuständig sind - nicht Umstände durch entsprechende Vorschriften herbeigeführt oder, wenn sie vorschriftswidrig bestehen, strukturell geduldet werden, die - sektorenübergreifend - zur Folge haben, dass die in Rede stehende Regelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen kann, so dass ihre Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird (EuGH, Urteile vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 106 und Carmen Media, a.a.O. Rn. 68 f.; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 82).

Rn. 46
Das Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen und den Spieltrieb von Verbrauchern in kontrollierte legale Bereiche zu lenken, kann nur dann in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, wenn der Monopolträger darauf verzichtet, die Wettbereitschaft zu fördern. Er darf dem Wetten kein positives Image verleihen, indem er auf eine gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen hinweist, und die Anziehungskraft des Wettspiels nicht durch zugkräftige Werbebotschaften erhöhen, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 103) oder sonst eine zum Wetten stimulierende Aussage treffen. Werbung, die über eine Information und Aufklärung bezüglich legaler Möglichkeiten zum Sportwetten hinausgeht und einzelne Sportereignisse mit der Möglichkeit zusätzlicher oder höherer Gewinne verknüpft, wirkt dieser Zielsetzung entgegen. Wie gezeigt (oben 3. b. bb.), wird das Berufungsurteil diesen Anforderungen nicht gerecht.

Rn. 47
Die Annahme des Berufungsgerichts, eine sektorenübergreifende Kohärenzprüfung sei nicht erforderlich, vernachlässigt die zweite Anforderung des Kohärenzgebots und versäumt zu prüfen, ob die rechtliche Regelung anderer Glücksspielbereiche mit vergleichbarem oder höherem Suchtpotenzial oder die dortige Praxis die mit dem Monopol verfolgten Ziele konterkarieren. Dabei sind die Besonderheiten der jeweiligen Glücksspielart in Rechnung zu stellen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 60 f.). Die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Kriterien machen deutlich, dass eine Kohärenz nur entfällt, wenn die Politik dem mit der Monopolregelung verfolgten Ziel aktiv zuwider handelt oder wenn Zuwiderhandlungen im Verwaltungsvollzug systematisch geduldet werden und deshalb auf strukturelle Mängel der Aufsichts- und Sanktionsregelungen hindeuten.

Rn. 52
5. Das angefochtene Urteil beruht auf den festgestellten Verstößen gegen Art. 12 Abs. 1 GG und gegen die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit. Es stellt sich nicht im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Ob die auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV gestützte Untersagungsverfügung des Beklagten rechtmäßig ist, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen.

Rn. 53
a) Bei verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, die keine anlassbezogene Werbung des Monopolträgers mit Hinweisen auf zusätzliche Gewinne und eine gemeinnützige Verwendung der Wetteinnahmen zulässt, kommt es darauf an, inwieweit eine danach unzulässige Werbung in Baden-Württemberg seit dem 1. Januar 2009 tatsächlich betrieben und von den Überwachungsbehörden nicht konsequent verfolgt und unterbunden wird. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang keine Feststellungen getroffen.

Rn. 54
Sie sind auch nicht entbehrlich, weil die Frage der unionsrechtlichen Kohärenz auf der Grundlage der bereits festgestellten Tatsachen zu beantworten wäre. Ob die im Glücksspielstaatsvertrag getroffenen Regelungen über das staatliche Glücksspielmonopol im Bereich der Sportwetten im unionsrechtlichen Sinne geeignet sind, zum Erreichen der legitimen Zwecke der Suchtbekämpfung (§ 1 Nr. 1 GlüStV), des Jugend- und Spielerschutzes (§ 1 Nr. 3 GlüStV), der Begrenzung des Glücksspielangebots sowie der Lenkung der Wettleidenschaft (§ 1 Nr. 2 GlüStV) und der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung (§ 1 Nr. 4 GlüStV) beizutragen, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Werbung und des Automatenspiels nicht hinreichend beurteilen.

Rn. 55
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Untersagungsverfügung nicht schon unabhängig von der Wirksamkeit des Sportwettenmonopols rechtmäßig. Der Beklagte beruft sich zwar darauf, dass die Klägerin Sportwetten jedenfalls entgegen § 4 Abs. 1 GlüStV ohne Erlaubnis sowie unter Verstoß gegen das Live-Wetten-Verbot (§ 21 Abs. 2 Satz 3 GlüStV) und das Internetverbot (§ 4 Abs. 4 GlüStV) anbiete und die von ihr vermittelten Spielverträge inhaltlich den Anforderungen des § 1 GlüStV nicht genügten. Damit lässt sich die angefochtene Verfügung jedoch nicht aufrechterhalten. Zum einen fehlen bislang Feststellungen dazu, ob die Klägerin tatsächlich Live-Wetten vermittelt, das Internet nutzt und/oder die vermittelten Verträge ihrem Inhalt nach gegen § 1 GlüStV verstoßen. Zum anderen rechtfertigt der Erlaubnisvorbehalt eine vollständige Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit; bei Zweifeln über die Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit kommen zunächst Nebenbestimmungen in Betracht. Schließlich hat der Beklagte sein Ermessen nicht mit Blick auf die nunmehr angeführten rechtlichen Gesichtspunkte ausgeübt. Ermessenserwägungen können im gerichtlichen Verfahren nur ergänzt, aber nicht völlig ausgewechselt werden (vgl. § 114 Satz 2 VwGO; Rennert, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 13. Aufl. 2010, § 114 Rn. 89 m.w.N.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen gegeben wären, unter denen das behördliche Ermessen ausnahmsweise zulasten der Klägerin auf Null reduziert wäre.

Rn. 56
Die Sache war daher nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

Urteil: BverwG 8 C 2.10 (pdf-download)


* BVerwG 8 C 15.09 vom 24.11.2010, Rn. 54
§ 8a Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der unter bestimmten Einschränkungen Gewinnspiele im Rundfunk gestattet, lässt nach der amtlichen Begründung zum Zehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Zehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages unberührt (vgl. LTDrucks 15/9667 S. 15 zu § 8a RStV; LTDrucks 15/8486 S. 13 zu § 3 GlüStV). Soweit Rundfunkgewinnspiele nach § 3 GlüStV als Glücksspiele einzuordnen sind, sind sie daher ebenso erlaubnispflichtig und von denselben Erlaubnisvoraussetzungen abhängig wie die übrigen dem Glücksspielstaatsvertrag unterfallenden Spiele. Für Gewinnspiele in dem Rundfunk vergleichbaren Telemedien nach § 58 Abs. 4 RStV gilt dasselbe, da diese Vorschrift auf § 8a RStV verweist.

Dieser rechtlichen Wertung ist der BGH Az.: I ZR 93/10)  am 28.09.2011 entgegengetreten der feststellte dass - entgegen der rechtskräftigen Entscheidung des BayVGH vom 25. August 2011 und obiger Entscheidung vom 1. Juni 2011 das Urteil (BverwG 8 C 2.10)  - zufallsabhängige 50-Cent-Gewinnspiele keine verbotenen Glücksspiele, sondern harmlose Unterhaltungsspiele sind. Rn.: 66: "Teilnahmeentgelte von höchstens 0,50 € sind glücksspielrechtlich unerheblich" - diese stellen keinen Spieleinsatz dar.


Mehr zum Erlaubnisvorbehalt
1. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts teilen der Erlaubnisvorbehalt und der Ausschluss von Erlaubnissen für private Wettanbieter das Schicksal des Monopols. Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV und Ausschluss von Erlaubnissen sind rechtfertigungsbedürftige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit. Sie müssen damit die aus der Rechtsprechung des EuGH sich ergebenden Anforderungen des Unionsrechts erfüllen (Urteil vom 24.11.2010 – 8 C 15.09, Rn. 60 f. und 8 C 14.09, Rn. 61 f.). Die gesamte europarechtliche Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts baut auf diesem Obersatz auf und ist Teil der Subsumtion unter die vom Bundesverwaltungsgericht an dieser Stelle formulierten vier Anforderungen.

Danach ist klar, dass auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts der Erlaubnisvorbehalt im Falle der Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettmonopols und des mit diesem einhergehenden Ausschlusses privater Anbieter nicht durchgreift. Wenn die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung des Glücksspielrechts inkohärent ist, führt ein Fehlen einer Erlaubnis also nicht per se zu einem Verbot der Tätigkeit.

Mildere Mittel:
Die Verbotsverfügung ist als unverhältnismäßig anzusehen, da es über das hinausgeht, was zur Bekämpfung einer möglichen Spielsucht erforderlich ist.
(vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C-243/01, Slg. 2003, I-13031, Randnr. 74, vom 6. März 2007, Placanica u. a., C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, I-1891, Randnr. 62, und Kommission/Spanien, Randnr. 39).


letzte Änderung 28. März 2012, 00.35 Uhr