Mittwoch, 30. November 2011

VG Gelsenkirchen verurteilt Stadt zur Aufhebung

Verbot nicht rechtens: Wettbüros verklagen Städte
Vor dem Gelsenkirchener Verwaltungsgericht geht es heute um die Klagen mehrerer Wettbüros gegen die Städte Castrop-Rauxel und Recklinghausen.
Wenn die ersten Kläger heute Erfolg haben sollten, kommen auf die Städte womöglich hohe Schadenersatzforderungen zu - denn die Wettbüros wollen für ihre jahrelangen Einnahmeausfälle entschädigt werden. weiterlesen

Nach der Entscheidung des OVG NRW kippte das VG Gelsenkirchen die Verfügungen
Letztlich standen Recklinghauens Justiziarin Budius und ihr Castrop-Rauxeler Kollege Lay auf verlorenem Posten. Noch am Montag hatte Herten eine Ordnungsverfügung gegen die „Tipstar UG“ aufgehoben.

Die Städte versuchten zwar, Gründe für ihre Verbotsposition wie beispielsweise „Prüfungen der Zuverlässigkeit“ im Klageverfahren nachzuschieben, scheiterten damit aber am § 114,2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die lässt bei sogenannten „Ermessensentscheidungen“ Ergänzungen zwar zu, schließt den Austausch von Gründen, die das „Ermessen auf null reduzieren“ und keine andere Behördenentscheidung zulassen würden, ausdrücklich aus.

Im Falle der Recklinghäuser Sportagentur Wleklik an der Westfalenstraße 154 wurde die Stadt verurteilt, die Untersagungsverfügung von 2005 aufzuheben, im Falle des Sportwettenanbieters Kalkmann (Berliner Platz 7 in Castrop) und Herner Straße 5 (RE) werden die Urteile von Richterin Wilm „zugestellt,“ dürften aber genauso ausfallen.
Die Städte Bochum und Dortmund hatten im Vorfeld des gestrigen Termins bereits vier Untersagungsverfügungen aufgehoben. (AZ 19 K 1100, 2836 u. 2865/11). http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php weiterlesen

Ermessenserwägungen könnten im gerichtlichen Verfahren nur ergänzt, nicht ausgewechselt werden (vgl. § 114 S. 2 VwGO).

Zur Aufhebung von Verwaltungsakten s. § 113 VwGO


Bereits am 05.10.09, also vor der EuGH Entscheidung vom 08.09.2010, stellte das VG Minden (3 L 473/09) fest, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob die angefochtene Verfügung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 3 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen (GlüStV) gestützt werden kann.

Nationale Regelungen, die - wie das in Frage stehende Sportwettenmonopol - die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 49 EG) beschränken, sind nur unter vier Voraussetzungen zulässig:
  • Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden,
  • sie müssten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen,
  • sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und
  • sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Vgl. dazu: EuGH vom 23.10.1997 - C-189/95 (Lexezius) - Rdnr. 42, Urteil vom 26.10.2006 - C-65/05 - Rdnr. 49 und Urteil vom 05.06.2007 - C-170/04 (Rosengren)-.
Wenn die Zahl der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt wird mit dem Ziel, die Gelegenheit zum Glücksspiel zu vermindern, muss die Beschränkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen.
EuGH, Urteil vom 06.03.2007 - C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Plancanica u.a.) - Rdnr. 58.
Ob das in Deutschland begründete Sportwettenmonopol diesen Anforderungen genügt, ist zweifelhaft. Die Kammer hält insoweit auch nach erneuter Überprüfung an der den Beteiligten bekannten Auffassung fest (vgl. zuletzt Beschluß vom 20.05.2009 - 3 L 176/09-).
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BVerwG Az: 8 C 2.10 Rn. 40 vom 01.06.2011
Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter - auch - in anderen Mitgliedstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung dieser Freiheit dar. Derartige staatliche Maßnahmen müssen vier Voraussetzungen erfüllen, um mit Unionsrecht in Einklang zu stehen: Sie müssen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt), Art. 52 AEUV (öffentliche Ordnung; Sicherheit; Gesundheit) oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Rn. 45
Eine Monopolregelung, die auf diese zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, muss ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67, vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - NVwZ 2010, 1081 Rn. 21 sowie vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 88 ff. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 55, 64 ff.). Innerhalb dieses sog. Kohärenzgebots lassen sich zwei Anforderungen unterscheiden. Zum einen muss der Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen die beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren sollen, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele - namentlich solche finanzieller Art - anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003, Gambelli, a.a.O. Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 65; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 77, 80). Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden.
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