Dienstag, 20. März 2012

Mitteilung der Europäischen Kommission

 im Notifizierungsverfahren NR. 2011/188/D

DEUTSCHLAND - Entwurf des Glücksspieländerungsstaatsvertrags - Mitteilung der Europäischen Kommission im Notifizierungsverfahren NR. 2011/188/D
 
Wie bekannt wurde, hat die Europäische Kommission (die Kommission) heute auf die Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland im Notifizierungsverfahren, in dem es um die Vereinbarkeit der technischen Normen des Glücksspieländerungsstaatsvertrags (GlüÄndStV) mit Unionsrecht geht, geantwortet.

Im Nachgang zu ihrer Ausführlichen Stellungnahme vom 18. Juli 2011, führt die Kommission erneut aus, dass sie sich immer noch nicht im Stande sieht, die Vereinbarkeit der Beschränkungen der Grundfreiheiten, d.h. die Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtfertigung von solchen Maßnahmen, die von den Vorgaben der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit abweichen und die der Entwurf des GlüÄndStV enthält, zu überprüfen. Die Kommission hält ihren Kommentar dahingehend aufrecht, dass Deutschland es nicht geschafft hat darzulegen, dass die Beschränkungen, die für das Angebot von Online-Glücksspielen gelten sollen, geeignet und verhältnismäßig sind. Zu Casino- und Pokerspielen wurden der Kommission bislang keinerlei Daten übermittelt, die belegen, dass die vorgesehen Beschränkungen gerechtfertigt sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss ein Mitgliedstaat, wenn er eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen möchte, belastbare Umstände dafür vorlegen, dass der Eingriff tatsächlich die Anforderungen erfüllt, die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erwachsen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C- 316/07 u.a. (Markus Stoß), Rn. 71 m.w.N.). Ganz offensichtlich haben die 15 Bundesländer, die den GlüÄndStV unterstützen, entsprechende Nachweise noch nicht erbracht.

Hinsichtlich der Frage, ob Wettaktivitäten in einer kohärenten und systematischen Art und Weise begrenzt werden, verweist die Kommission ausdrücklich auf den laufenden Gesetzgebungsprozess auf Bundesebene hinsichtlich der Regelungen für Pferdewetten und Automatengeldgewinnspiele. Die Kommission führt aus, dass sie sich derzeit (noch) nicht in der Lage sehe, insoweit die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im GlüÄndStV abschließend zu würdigen. Die Kohärenzfrage war das Kernthema der EuGH-Entscheidungen vom 8 September 2010 in den Rechtssachen Markus Stoß (C-316/07) und Carmen Media (C-46/08) bei der Beurteilung der deutschen Glücksspielregulierung. Dementsprechend ist bislang immer noch nicht sicher, ob die neuen Regelungen das Kohärenzerfordernis erfüllen werden. Das Notifizierungsverfahren nach der EU-Richtlinie 98/34/EG stellt ein Mittel bereit, mit dem Mitgliedstaaten der Europäischen Union einander und die Kommission über geplante technische Regelungen (im Bereich der Dienste der Informationsgesellschaft) informieren können, bevor diese in Kraft gesetzt werden. Die Kommission hat in dem Verfahren grundsätzlich keine Möglichkeit, die geplanten Maßnahmen zu endgültig zu "blockieren”, d.h. letztlich deren Inkrafttreten zu verhindern

Es ist bemerkenswert, dass die Kommission ausdrücklich auf die Möglichkeit verweist, auch nach förmlichem Abschluss des Notifizierungsverfahrens ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, sollte eine der Vorschriften des geplanten GlüÄndStV nicht mit Unionsrecht vereinbar sein.

Köln, 20, März 2012
Dr. Juliane Hilf


"Ich glaube nicht, dass der neue Staatsvertrag vor dem EuGH Bestand haben wird", sagte die SPD-Abgeordnete Angelika Graf, die Berichterstatterin ihrer Partei für die Anhörung im Gesundheitssauschuss. "Der neue Vertrag orientiert sich sehr an dem alten und geht zu wenig auf die Suchtprävention ein. Das ist umso peinlicher, als die Anforderungen bekannt waren."  Quelle

Landtag von Baden-Württemberg:
Drucksache 15 / 500  vom 15. 09. 2011  (pdf-download)
Europarecht bei der Schaffung neuer Regelungen zum Glücksspiel beachten

Europaausschuss:
Anhörung am 03.03.2010: "Konsequenzen aus dem Lissabon-Urteil im Hinblick auf die Beteiligung und Mitwirkung des Landtags von Baden-Württemberg in EU-Angelegenheiten" (pdf-download)
 

Noch am 13.10.2009 wird durch den Finanzausschuss: "Öffentliche Anhörung zum Thema - Glücksspiel"
ganz offen der finanzielle Aspekt angesprochen und die angebliche Unionsrechtskonformität der Monopolgesetzgebung „bestätigt“ - dies, obwohl bereits 2 Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet waren und dem EuGH die bekannten Vorabentscheidungsersuchen vorlagen. (pdf-download)

Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn sagte, „ich fürchte seit Jahren, dass das, was Deutschland macht, nicht mit EU-Recht vereinbar ist“. Quelle

Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland - alte Fassung - (GlüStV a.F.)
Die Urteile des EuGH vom 8. September 2010 (Vorabentscheidungsersuchen C-316-07 u. a. sowie C-409/06) erklären § 5 Abs. 2 des LottStV (Monopole) für unvereinbar mit Art. 43 und 49 EU (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). Sie verbieten aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch eine übergangsweise Anordnung der Weitergeltung der Rechtsvorschriften des LottStV und der Landesgesetze zur Durchsetzung der staatlichen Glücksspielmonopole. Aus diesen Urteilen lässt sich ableiten, dass auch die Monopole aus § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV und aus den landesrechtlichen Durchführungsgesetzen zum GlüStV als wesentlich inhaltsgleiche Nachfolgevorschriften wegen Unvereinbarkeit mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (Art. 49 und 56 AEUV) ab sofort unanwendbar sind. (FN BayRS 2187-3-I)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH), amtlich nur Gerichtshof genannt, mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union (EU). Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV sichert er „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“. Zusammen mit dem Gericht der Europäischen Union und dem Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union bildet er das Gerichtssystem der Europäischen Union, das im politischen System der Europäischen Union die Rolle der Judikative einnimmt. Der Gerichtshof ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) des Europarates.  weiterlesen


Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten verantwortlich für die Umsetzung des EU-Rechts.
Sie müssen die europäischen Richtlinien zunächst in nationales Recht übertragen (Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaaten) und anschließend für die Anwendung sorgen. Die EU-Kommission ist dafür verantwortlich, dass die Mitgliedstaaten das EU-Recht auch tatsächlich korrekt umsetzen und anwenden. Sie wird deswegen auch als die „Hüterin der Verträge“ bezeichnet. Daher hat sie auch das Recht, einen Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, wenn dieser gegen EU-Recht verstößt. Dabei ist es irrelevant, ob der eigentliche Rechtsverstoß in der Verantwortung des Bundes, der Länder oder Kommunen liegt. Das Recht, ein solches Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten obliegt ausschließlich der EU-Kommission. Allerdings steht es der Kommission frei, ein Verfahren zu initiieren, wenn sie vorher Hinweise für einen Rechtsbruch von dritter Seite erhalten hat. Auf solche Hinweise ist sie auch zwingend angewiesen, denn um die Umsetzung und Anwendung sämtlichen EU-Rechts in allen 27 Mitgliedstaaten überwachen zu können, fehlt ihr schlichtweg das Personal. Quelle
  
Rechtsetzung der Europäischen Union
Als eigenständige Organisation mit Rechtspersönlichkeit haben die Europäische Union und die Europäische Atomgemeinschaft auch eigene Rechtsetzungsbefugnisse.
Während in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten das Parlament den Willen des Volkes vertritt, sind es in der Europäischen Union die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat, denen eine wichtige Rolle bei der Rechtsetzung zukommt. Bei verbindlichen Rechtsakten mit allgemeiner Geltung (Verordnungen und Richtlinien) hat das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht, die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten müssen jedoch auch in diesen Bereichen zustimmen.

Grundrechte in der Europäischen Union

Kontrolle der Anwendung des Unionsrechts

EU-Kommission Vertragsverletzungen
Öffentliche Konsultation zum Online-Gücksspiel im Binnenmarkt

Jeder Mitgliedstaat ist für die Durchführung (fristgerechte Umsetzung, Konformität und ordnungsgemäße Anwendung) des Unionsrechts im Rahmen seiner innerstaatlichen Rechtsordnung verantwortlich. Gemäß den Verträgen wacht die Europäische Kommission über die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts.

Mehr zum Unionsrecht
Wie beantwortet die rechtswissenschaftliche Lehre die entscheidenden Fragen nach den Urteilen des EuGH vom 8. September 2010?


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