Donnerstag, 24. Januar 2013

Glücksspielrecht seit 1999 rechtswidrig?


„Spielerschutz“ und „Suchtprävention“ sind überwiegend vorgeschobene Argumente, die finanziellen Interessen moralisch bemänteln. Staatliche Lotto-Toto-Anbieter und Spielbanken sollen vor Konkurrenz geschützt werden.

update:


EuGH: Glücksspieländerungsstaatsvertrag 2012 verstößt gegen Europarecht

Der EuGH (C-336/14) hat am 4.2.2016 in d. Rs. Sebat Ince entschieden, dass das staatliche deutsche Glücksspielmonopol trotz vergangener Regulierungsbemühungen faktisch weiter bestehe. Aufgrund der Unvereinbarkeit des deutschen Glücksspielstaatsvertrages mit geltendem EU-Recht, dürfen deutsche Behörden die private Vermittlung und das Veranstalten von Glücksspielen ohne offizielle Lizenz nicht weiter verfolgen und sanktionieren.

Das neuerliche Urteil Ince zeigt, dass die bayerischen Behörden den Anwendungsvorrang bislang ignorieren und die Grundrechtecharta mißachten und sich damit gegen höheres Recht hinwegsetzen.

Unter der Rn 53 des Urteils Ince C-336-14 attestiert der Gerichtshof, dass der Mitgliedstaat Deutschland die Rechtsbefehle aus dem Urteil Winner Wetten, C-409/06, EU:C:2010:503, Rn. 58, 69 mißachtete, (vgl. PM Nr: 78/10) und noch immer gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (Rn 59) verstieß/verstößt, womit erneut durch den EuGH bestätigt wird, dass der Grundrechtsschutz dem Grundrechtsträger vorenthalten wird.

Zur Weitergeltung als Landesrecht und zur Nachfolgeregelung (GlüStV 2012) stellte der EuGH fest, dass das unionsrechtswidrige Staatsmonopol unzulässigerweise fortgeführt wurde, womit Grundrechtseingriffe nicht legitimiert sind.

Der EuGH führt in seiner PM 10/16 vom 4. Februar 2016 wie folgt weiter aus:
“ Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass das fiktive Erlaubnisverfahren die Unionsrechtswidrigkeit des Staatsmonopols, wie sie von den nationalen Gerichten festgestellt wurde, nicht behoben hat.”
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Gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht darf im Grundsatz ex tunc nicht mehr angewendet werden. (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., München 2003, Rz. 91 zu § 10)

Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages verfassungs- und europarechtswidrig!

Deutschland droht Vertragsverletzungsverfahren
Die Europäische Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für europarechtswidrig und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014. (C-390/12, Randnr. 43)
Pflicht zur Befolgung der Vorgaben eines übergeordneten Gerichts, EuGH (Rs. C-581/14)
Um die einheitliche und volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern, sind unionsrechtswidrige mitgliedstaatliche Regelungen nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern dürfen aufgrund des Anwendungsvorrangs auch nicht weiter angewandt werden. (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit)

Hessischer Verwaltungsgerichtshof:

Mit bemerkenswerter Härte und Deutlichkeit bestätigt das Gericht die vorinstanzliche Entscheidung des VG Wiesbaden und stellt fest, dass die Entscheidungen des Glücksspielkollegiums über die Vergabe der Sportwettenkonzessionen verfassungswidrig waren, da das Gremium nicht hinreichend demokratisch legitimiert und bundesstaatlich unzulässig ist.
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat durch Entscheidungen vom 25.9.2015 in den anhängigen Popularklagen Vf. 9-VII-13, 4-VII-14, 10-VII-14, mit Wirkung für den Freistaat Bayern zwei wichtige Elemente des Glücksspielstaatsvertrages als verfassungswidrig verworfen.
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OVG Hamburg  v 19.5.2015  4 Bs 14/15
Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit sind nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlaubt, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt (BVerfG, Beschl. v. 25.3.1992, 1 BvR 298/86, BVerfGE 86, 28, juris Rn. 45ff.). Sie müssen zudem auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.1999, 1BvR 1904/95 u.a., BVerfGE 101, 331, juris Rn. 70).
Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Einschränkugen der Berufsfreiheit stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Daher müssen die Eingriffe zur Erreichung des Eingriffsziels geeignet sein und dürfen nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfG Beschl. v. 16.1.2002, 1BvR 1236/99, BVerfGE 104, 357, juris Rn. 34).
Die Eingriffsmittel dürfen zudem nicht übermäßig belastend sein, so dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, 1 BvR 3262/07 u.a., BVerfGE 121, 317, juris Rn. 95 m.w.N.).

Kurt Beck´s GlüÄndStV, mit dem das staatliche Monopol fortgeführt werden sollte, wurde durch das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit dem Beschluss vom 05.05.2015 gekippt.

Das VG Wiesbaden (5 L 1453/14.WI) attestierte, dass das bisherige Verfahren als intransparent und fehlerhaft zu bewerten sei und nicht die Anforderungen an eine zulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit erfüllt. Damit bestätigte das VG seinen Beschluß (Az 5 L 90/13. WI) vom 30. April 2013, mit dem es bereits entschied, dass das Vergabeverfahren für Sportwetten-Lizenzen rechtswidrig sei.

Glücksspiel-Staatsvertrag nicht mit EU-Recht vereinbar

Glücksspielkollegium ist verfassungswidrig
Rechtswissenschaftler: Staatliche Regulierung des Glücksspiels verstößt gg. EU-Recht und Grundgesetz

BVerfG zum unionsrechtswidrigen Sportwettmonopol vom 09.09.2014
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT  – 1 BvL 2/14

AG Sonthofen: Weiterer Vorlagebeschluß zum deutschen Glücksspielrecht
Schlussanträge Rs.: Ince (C-336/14) - Konzessionsverfahren europarechtswidrig
Mündliche Verhandlung vor dem EuGH
Herr Braun, der Vertreter der Europäischen Kommission, widersprach der Bundesregierung. Die Kommission teile die Bedenken des Vorlagegerichts.
Bis jetzt habe Deutschland keinen Nachweis für die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelungen geliefert. Es bestehe weiterhin ein faktisches Monopol. Das neu eingeführte Konzessionssystem habe daran bisher nichts geändert. Auch sei die Übergangsregelung unzulässig.
Das Regulierungschaos erhält das unionsrechtswidrige Monopol!
Ein unzulässiges Monopol in Form eines Kartells würde gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen und zu einer Schadenersatzpflicht führen. Art. 101 AEUV – Ersatz des Schadens, der durch ein nach diesem Artikel verbotenes Kartell verursacht wurde.

Behördliche Willkür auf Vollzugsebene
 – Eine Anmerkung zu VG Darmstadt – 3 L 1807/14.DA

EuGH
Rs. C-156/13 Digibet v. 12. Juni 2014 (BGH-Vorlage s.u.)
Bundesgerichtshof muss prüfen ob die Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelung allen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen genügt.
Zur Verhältnismäßigkeit entschied der EuGH in der Rechtssache C-390/12 am 30. April 2014
Der I. Zivilsenat des BGH hat am 7. Mai 2015 entschieden, dass die Revision in dem Verfahren I ZR 171/10 – Digibet II – wirksam zurückgenommen worden ist. BGH: neuer Verhandlungstermin in den RS: I ZR 203/12 und I ZR 241/12

Staatsgerichtshof Baden-Württemberg:
Landesglücksspielgesetz teilweise verfassungswidrig
1 VB 15/13 - Urteil vom 17. Juni 2014

Mit den Urteilen vom 20. Juni 2013 stellte das BVerwG erneut fest, dass das Glücksspielmonopol tatsächlich nicht der Suchtbekämpfung, sondern fiskalischen Zwecken diente.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied am 16. Oktober 2013 (8 C 21.12):
“Eine weitere Auslegung des Glücksspielbegriffs in § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV widerspräche auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes und dem rechtsstaatlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die weitgehenden Beschränkungen des Glücksspiels durch den Glücksspielstaatsvertrag sollen der Suchtbekämpfung, dem Jugend- und Spielerschutz und der Kriminalitätsbekämpfung dienen. Sie sind verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, soweit sie zur Bekämpfung dieser Gefahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sind.“
Nach dem Bundesverwaltungsgericht musste auch der BGH am 16.04.2015 in der Rs. III ZR 204/13 bestätigen, dass das Sportwettenmonopol 2008 unionsrechtswidrig sei, womit erneut gegen das Wettbewerbs- und Kartellrecht der Europäischen Union verstoßen wurde und das unionsrechtliche Schadenersatzrecht zum tragen kommt. (vgl. G. Meeßen, Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht – Konturen eines europäischen Kartelldeliktsrechts, Tübingen 2011, S. 256 f.)
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AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
Wettbewerbsregeln (Art. 101 - 109); Staatliche Beihilfen (Art. 107 - 109)
„Art. 101 AEUV – Ersatz des Schadens, der durch ein nach diesem Artikel verbotenes Kartell verursacht wurde. vgl. EuGH in der Rs. Krone (C-557/12) v. 5. Juni 2014 zum Kartellrecht

"Es war und ist ein Fiskal-Monopol. Es dient nicht, wie immer behauptet wird, der Spielsuchtbekämpfung. Der Staat nutzt es allein zur Erzielung von Einkünften."
(so Prof. Rupert Scholz, focus 13.09.2010) (Pressemitteilung Nr: 78/10 des EuGH)  weiterlesen
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Die unwahre Gesetzesbegründung
  (Auszug)
Dirk Uwer

Die Länder sind im Glücksspielwesen fiskalisch, ökonomisch und juristisch  gescheitert. Sie verteidigten bis zum Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (und in unbelehrbarer Weise weit darüber hinaus in dem am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag3) jahrzehntelang ein verfassungswidriges Sportwettenmonopol, dessen Ersetzung durch ein insuffizientes Konzessionsmodell im Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag zum 1. Juli 2012 wenig mehr als die halbherzige Kapitulation vor den lange kontrafaktisch geleugneten Realitäten auf den konvergenten europäischen Glücksspielmärkten ist. Sie gestalteten ihr Lotterieveranstaltungsmonopol so aus, dass es gegen höherrangiges Kartellrecht verstieß, was das Bundeskartellamt 2006 und der Bundesgerichtshof 2008 klar, aber letztlich mit der alleinigen Folge rügten, dass die Länder seither die Geltungsansprüche des Kartellrechts auch legislatorisch zu konterkarieren versuchen.
Der Konfrontationskurs der Länder gegenüber den Anforderungen des Europarechts ist ebenso singulär: Die Europäische Kommission hat gegen die Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 2007  – nach deutlicher, letztlich aber folgenloser Kritik am Entwurf des Glücksspielstaatsvertrags im Notifizierungsverfahren 4

 –  ein Vertragsverletzungsverfahren  eingeleitet, weil der Glücksspielstaatsvertrag mit vorrangigem Unionsrecht, insbesondere den Grundfreiheiten der Glücksspielanbieter, unvereinbar ist. 5

Auch der Europäische Gerichtshof hat den Ländern die Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrags attestiert, weil das – behauptete – Ziel der Suchtprävention nicht kohärent und systematisch verfolgt, sondern das Glücksspielangebot aus fiskalischen Gründen sogar noch erweitert wird. 6

Das Monopolsystem des Glücksspielstaatsvertrags ist vor allem deshalb inkohärent und unionsrechtswidrig, weil es die am wenigsten gefährlichen Glücksspiele, nämlich herkömmliche Zahlenlotterien, mit dem Veranstaltungsmonopol und strengen Vertriebsbeschränkungen am schärfsten reguliert, während andere, aus suchtpräventiver Sicht weitaus bedenklichere Glücksspiele von Privaten veranstaltet werden dürfen. Die Länder haben also auch den „Scheinheiligkeits-Test“ des europäischen Rechts nicht bestanden. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Europäische Kommission auch den Entwurf des novellierten Glücksspielstaatsvertrags im Notifizierungsverfahren deutlich kritisiert 7 und bereits die Einleitung eines neuen Vertragsverletzungsverfahrens angekündigt hat.

Das etatistische, irrational anmutende Modell der Glücksspielregulierung in Deutschland ist denn auch viel beklagt worden. 8

Nicht zuletzt hat die Monopolkommission in ihrem jüngsten Hauptgutachten den Ländern attestiert, dass auch mit dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag „die gesellschaftlichen Ziele der Regulierung und deren Neuregelung immer noch nicht erreicht werden können“ 9

– der Glücksspielstaatsvertrag ein Dokument des Glücksspielstaatsversagens.

Dieser Befund allein würde noch nicht das Interesse des Gesetzgebungswissenschaftlers Kloepfer wecken – schlechte Gesetze gibt es viele, und das ist bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit im demokratischen Rechtsstaat hinzunehmen, wer sie beseitigen will, möge auf andere politische Mehrheiten hinwirken. Wie aber verhält es sich, wenn der „schlechte“ Gesetzgeber auch unlauter ist? Wenn er Gesetze macht, deren tatsächliche Motivation eine andere ist als die erklärte, etwa weil die wahre Begründung dem Gesetz die verfassungsrechtliche Legitimation nähme? Im rechtsstaatlichen Ideal erlässt das demokratisch legitimierte Parlament Gesetze, zu deren Begründung in den amtlichen Erläuterungen Regelungsziele angeführt werden, an deren Verfolgung und Durchsetzung sich diese auch messen lassen müssen.

Vordergründig stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber in diesem Verfahren bewusst andere Regelungsziele angeben sollte als diejenigen, die er tatsächlich verfolgen möchte, schließlich hat er doch ein weites gesetzgebeisches Ermessen, aus welchen Gründen er bestimmte Lebensbereiche in welcher Intensität einer Regelung  unterwerfen will.

Kloepfers unvergessener Schüler Thilo Brandner hat dies in seiner Habilitationsschrift zur „Gesetzesänderung“ auf den Punkt gebracht: Zwar ist die Bindung an das Gemeinwohl „selbstverständliche Voraussetzung jeder verfassungsrechtlich gebundenen Gesetzgebung“ 10, aber die Gemeinwohlkonkretisierung liegt in der Hand des demokratisch legitimierten Gesetzgebers: Alle formell verfassungskonform zustande gekommenen Gesetze haben, soweit sie nicht materiell gegen die Verfassung verstoßen, als „gemeinwohlrichtig“ zu gelten. 11

Täuscht der Gesetzgeber den Normadressaten über seine wahren Ziele, weil diese zu offenbaren das Gesetz dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit aussetzt, ist die verfassungsrechtliche Lage indes weniger eindeutig als es das Unwerturteil des Rechtsunterworfenen nahelegt: So wenig der Gesetzgeber lügen darf, so wenig kann das unwahr begründete Gesetz die Grundrechte beschränken, das „lügende“ Gesetz ist verfassungswidrig. Die verfassungsrechtliche Untermauerung dieser These erweist sich indes als deutlich schwieriger. Das soll im Folgenden anhand eines besonders eklatanten Beispiels aus dem Glücksspielstaatsvertrag skizziert werden.

Dirk Uwer führt auf Seite 12 seines Rechtsgutachtens “Die unwahre Gesetzesbegründung” aus:

Im Falle des 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrags kam eine weitere prozedurale Komplikation hinzu, die gleichfalls ohne Präzedenz ist:

Angesichts der massiven, vor allem  europarechtlich akzentuierten Kritik am Vertragsentwurf billigte die Ministerpräsidentenkonferenz diesen zwar, stellte seine Ratifizierung jedoch unter den Vorbehalt einer „abschließenden positiven Stellungnahme der Europäischen Kommission im Notifizierungsverfahren“, das nach der technischen Richtlinie 98/34/EG einzuleiten war.

In der am 20. März 2012 bekannt gewordenen Stellungnahme verweigerte die Kommission aber eine solche abschließend positive Beurteilung.

Welche Bedeutung die Länder dem Brüsseler Votum tatsächlich beimaßen, zeigt sich indes an der Äußerung eines Beamten aus der von den Chefs der Staatskanzleien (CdS) eingesetzten Arbeitsgruppe für den Glücksspielstaatsvertrag vor Eingang der Stellungnahme der Kommission, man werde die Ratifizierung unabhängig von deren Ergebnis einleiten.

Dahinter steckt ein manipulatives Verhaltensmuster:

Schon die schriftliche Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag Ende 2006 war durch massive Ergebnisbeeinflussung geprägt. Obwohl rund 90 umfangreiche, ganz überwiegend ablehnende Stellungnahmen eingegangen waren, kamen die Glücksspielreferenten nach nur fünf Arbeitstagen zur Auswertung aller Stellungnahmen zu dem – später falsifizierten – Ergebnis, dass der Vertragsentwurf verfassungs- und europarechtskonform sei.

Die daraufhin gestellten Akteneinsichtsanträge, sämtliche zugehörigen Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurden abgelehnt. In der Tischvorlage zur entscheidenden Ministerpräsidentenkonferenz am 13. Dezember 2006 hieß es zu den geheim gehaltenen Stellungnahmen lapidar, es hätten sich „keine neuen Aspekte in der Sache“ ergeben.


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Dirk Uwer - Die unwahre Gesetzesbegründung (pdf-download)
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1) Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Beharren. Bewegen – Festschrift für Michael Kloepfer zum 70. Geburtstag, Schriften zum Öffentlichen Recht (SÖR), Band 1244, 2013, Duncker & Humblot (Berlin), S. 867 ff.
2) Zum Diskussionsstand zum Glücksspielbegriff im deutschen Recht jüngst  Miriam Benert/Martin Reeckmann, ZfWG 2013, 23ff.
3) Mit Erläuterungen abgedruckt bei Dirk Uwer, Glücksspielrecht im Umbruch, 2012, S. 21 ff.
4) Notifizierungsverfahren 2006/658/D  nach  der  Richtlinie 98/34/EG  zum  Entwurf eines Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland.
5) Vertragsverletzungsverfahren  Nr. 2007/4866; mit deutlicher Kritik aus europarechtlicher Perspektive jüngst Wernhard Möschel, Glücksspiel und europäischer Binnenmarkt, EuZW 2013, 252: „Die Länder führen einen nahezu obsessiven Kampf gegen privates Spielangebot. Die vorgebliche Absicht, Spielsucht zu bekämpfen oder wenigsten zu kanalisieren, tritt faktisch zurück hinter vorrangigen fiskalischen Interessen.“
6)  EuGH, Urteile vom 8. September 2010, Rs. C-46/08 (Carmen Media), Rs. C-316/07 (Markus Stoß  u.a.), Rs. C-409/06 (Winner Wetten); zur Konsistenzargumentation des EuGH jüngst Niels Petersen, Gesetzgeberische Inkonsistenz als Beweiszeichen, AöR 138 (2013), 108, 124 ff.
7)  Notifizierungsverfahren 2011/188/D nach der Richtlinie 98/34/EG, Ausführliche Stellungnahme (Detailed Opinion) und Bemerkungen der Europäischen Kommission auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 98/34/EG vom 18. Juli 2011 zum Entwurf des 1. Glücksspieländerungsstaats-vertrags (1. GlüÄndStV) in der Fassung vom 14. April 2011.
8)  Siehe im Einzelnen die Beiträge in  Michael Schmittmann  (Hrsg.), Auf dem  Weg zum Glücksspielstaatsvertrag 2012, 2011; kritisch zum glücksspielrechtlichen Regulierungsdefizit jüngst Möschel, EuZW 2013, 252 (254 f.).
9)  Monopolkommission,  Stärkung des Wettbewerbs bei Handel und Dienstleistungen, Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 30. Juni 2012, S. 1.
10) BVerfGE 50, 50 (51); Thilo Brandner, Gesetzesänderung, 2004, S. 343.
11) Brandner, Gesetzesänderung, S. 347.

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Nach der Kommission zweifelt nun auch der BGH am deutschen Glücksspielsystem. Macht schon das schleswig-holsteinische Sondergesetz den Staatsvertrag der anderen Länder nichtig? Und was wird nun, da die neue schleswig-holsteinische Regierung beschlossen hat, doch beim Glücksspielstaatsvertrag mitzumachen? Es droht ein neues negatives Urteil aus Luxemburg, meinen Wulf Hambach und Maximilian Riege.

In dem Vorlagebeschluss geht es um die beiden Regulierungssysteme, die derzeit parallel in Deutschland in Kraft sind. Das Glücksspielgesetz in Schleswig-Holstein (GlSpielG SH) und der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) aller anderen Bundesländer regeln vor allem den Bereich des Internet-Glücksspiels höchst unterschiedlich.
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Der BGH legt Fragen zur Auslegung der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Sportwetten vor – Sind diese Fragen entscheidungserheblich?
Ein Artikel von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein  weiterlesen

BGH äußert Zweifel an Vereinbarkeit des deutschen Glücksspielrechts mit EU-Recht
Die Beklagte des zugrunde liegenden Streitfalls bietet im Internet Glücksspiele und Sportwetten an. Die Klägerin, die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unterlassungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
BGH erbittet Vorabentscheidung des EuGH zu Fragen hinsichtlich der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit
Die Fragen des BGH an den EuGH im Einzelnen
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Das Gericht stellt vier Fragen an den Europäischen Gerichtshof zum Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrags.

In einer aktuellen Pressemitteilung verkündete der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, das Verfahren  auszusetzen um die Antwort auf vier Fragen "zur unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit" an den Europäischen Gerichtshof abzuwarten.

• "Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar", wenn Glücksspiele einerseits im Internet verboten werden während andererseits in Schleswig-Holstein Glücksspiele über das Internet erreichbar sind?

• "Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an", ob die abweichende Rechtslage in Schleswig-Holstein die Ziele des Glücksspielstaatsvertrag "aufhebt oder erheblich beeinträchtigt?"

• Weiter fragt der Bundesgerichtshof im Hinblick darauf, dass Schleswig-Holstein dem Glücksspielstaatsvertrag beitreten möchte, ob die Inkohärenz durch diesen Beitritt beseitigt wird, obwohl die "dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten", weil die Widerrufung dieser "Genehmigungen nicht, oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen" möglich wäre?

• "Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an", ob während der sechsjährigen Dauer der Glücksspiellizenzen in Schleswig-Holstein die Eignung des Glücksspielverbots "aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt" wird?  Quelle

BGH stellt deutsches Glücksspielrecht in Frage

Fragenkatalog zur Kohärenz von Internet-Vertrieb und -Werbung beim EuGH eingereicht
Lottoverband fordert angemessene Regelungen für Internetvermittlung und -werbung von Lotterien
Hamburg 24.01.2013 – Mit der Einreichung eines Fragenkatalogs beim EuGH hat der Bundesgerichtshof (BGH) heute deutlich gemacht, dass das deutsche Glücksspielrecht insbesondere hinsichtlich des Vertriebs und der Werbung von Glücksspielen im Internet nach den geltenden Maßstäben des EuGH nicht ausreichend systematisch und kohärent geregelt ist. Auch der von der Landesregierung Schleswig-Holstein heute beschlossene Beitritt des nördlichsten Bundeslandes zum umstrittenen Glücksspieländerungsstaatsvertrag wird diese unklare rechtliche Situation nicht verändern. Im Gegensatz zum Staatsvertrag hatte die EU-Kommission dem liberaleren Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins europarechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt.
„Der Staatsvertrag wird auf Jahre hin keine Rechtssicherheit bieten. Das hat in der heutigen Landtagsdebatte sogar die Landesregierung selbst bestätigt“, so Norman Faber, Präsident des Deutschen Lottoverbandes. „Es ist völlig absurd, dass in einer solchen Situation Schleswig-Holstein den Beitritt beschließt und gleichzeitig das Gesetz aufhebt, das von der EU-Kommission schon abgesegnet wurde. Während aufgrund der erteilten Lizenzen in Deutschland Online-Sportwetten und Online-Casinos legal sind, stranguliert der Staatsvertrag den Vertrieb und die Werbung von harmlosen staatlichen Lotterien durch private Vermittler im Internet.“ Der BGH habe mit seiner heutigen Entscheidung erneut deutlich gemacht, dass deutsches Glückspielrecht europarechtskonform sein muss. Entsprechend müssten die unverhältnismäßigen Werbe- und Internetrestriktionen für Lotterien, auch für private Lotterievermittler angepasst werden. „Wir brauchen hier in Deutschland nach sieben Jahren Rechts-Chaos endlich Rechtssicherheit durch einen europarechtskonformen Glücksspielstaatsvertrag. Die neue Werberichtlinie der Länder setzt die Talfahrt des deutschen Lottos fort“.
Die Internet- und Werbeverbote des GlüStV haben seit 2008 insbesondere für die deutschen Lotterien zu einem Umsatzausfall von über 14 Mrd. Euro, sowie für die Länder zu einem Ausfall von Steuern und Zweckerträgen von rund 5 Mrd. Euro geführt.