Donnerstag, 30. April 2015

EGMR schützt das Recht der Anwälte auf Justizkritik


Auch Richter und Staatsanwälte dürfen kritisiert werden – die Große Kammer des EGMR schützt das Recht der Anwälte auf Justizkritik.

EGMR zu anwaltlicher Justizkritik: Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schützt mit einer Entscheidung vom gestrigen Donnerstag das Recht von Anwälten auf Justizkritik und korrigiert damit ein Urteil der 5. Kammer des EGMR aus dem Jahre 2013. Der Kläger, der französische Anwalt Olivier Morice, hatte im Interview mit der Zeitung Le Monde unter anderem das Verhalten einer französischen Untersuchungsrichterin als "völlig unvereinbar mit den Prinzipien der Unparteilichkeit und Fairness" bezeichnet und war daraufhin zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Diffamierung öffentlicher Amtsträger verurteilt worden. Seine Beschwerde gegen das Urteil wies die 5. Kammer damals mit der Begründung ab, eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention liege nicht vor – Morice sei vielmehr als Rechtsanwalt verpflichtet zum "guten Funktionieren der Justiz" beizutragen. Die Große Kammer erklärte nun in ihrer Entscheidung, sie sehe darin zwar weiterhin einen legitimen Grund zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, jedoch könnten unter bestimmten Bedingungen auch Richter und Staatsanwälte mit Kritik konfrontiert werden.
verfassungsblog.de  (Maximilian Steinbeis) erläutert den zugrundeliegenden Fall.

Wenn ein Anwalt sich mit einem Justizskandal konfrontiert sieht, dann darf er das öffentlich anprangern. Solange er nicht lügt, beleidigt oder irreführende, ins Blaue hinein geäußerte oder nicht zur Sache gehörende Bemerkungen dabei macht, ist er vor Strafverfolgung sicher. In diesem Sinne hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg den verheerenden Eindruck, den das Gericht in der Sache Morice v. Frankreich vor knapp zwei Jahren hatte entstehen lassen, heute wieder korrigiert: Whistleblowing durch Anwälte ist erlaubt und geschützt.
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EGMR
CASE OF MORICE v. FRANCE
(Application no. 29369/10)