Mittwoch, 22. April 2015

Studie zur Unabhängigkeit von Gerichtsgutachten zeigt: Strukturen sind teilweise regelrecht mafiös


Mi, 22. Apr  2015 · 21:45-22:15 · Das Erste (ARD)
Plusminus

Gutachten
Entscheidend in vielen Schadenersatz-Prozessen


Alle Videos zu Plusminus

Wer unverschuldet einen Unfall oder einen anderen Schaden erleidet, muss sich vor Gericht meist auf ein Gutachten berufen. Etliche Gutachten allerdings sind sehr einseitig verfasst.
Unfallopfer Rainer Matuszak wollte mit seinem Auto an einer grünen Ampel links abbiegen:
»Und habe dann im rechten Augenwinkel gesehen, dass auf der Rechtsabbiegespur einer mit erhöhter Geschwindigkeit ankommt. Und habe dann mein Fahrzeug zum Stehen gebracht. Kurz danach ist er mir seitlich in den Vorderwagen reingefahren und durch diesen Aufprall von rechts bin ich aus dem Schultergurt rausgeschlagen worden und lag mit dem gesamten Oberkörper im Fußraum des Beifahrers.«

Rainer Matuszak will von der gegnerischen Versicherung und der beruflichen Unfallversicherung  Schadensersatz, Schmerzensgeld und Rente.  Doch die Versicherungen lehnen ab, behaupten, seine Beschwerden hätten nichts mit dem Unfall zu tun.
Rainer Matuszak:
»Ich muss für alles bezahlen. Ich soll für alles bezahlen. Das ist ja nicht in Ordnung, das ist ja nicht nachvollziehbar. Ich habe immer noch offene Rechnungen, die ich jetzt in kleinen Raten abzahle, über 120.000 Euro, die ich noch bezahlen soll. Ich versteh‘s nicht…«
Rainer Matuszak muss vor Gericht ziehen. Das beauftragt einen Sachverständigen,  ein technisches Gutachten zu erstellen. Der Unfall wird nachgestellt. Unglaublich. Der Gutachter teilt die Argumente der Versicherungen: Die Beschwerden sollen angeblich nicht vom Unfall stammen.

Er kann es nicht glauben und lässt das Gutachten von einem anderen Sachverständigen überprüfen. Peter Schmidt findet immer wieder Ungereimtheiten in Gutachten von Kollegen. Auch in diesem Fall stellt er fest: Der Gerichtsgutachter hat schwere Fehler gemacht

Peter Schmidt, Unfallgutachter:
»Der Fehler der war, er hat in dem Crash-Test, den er durchgeführt hat, im Rahmen dieses Gerichtsgutachtens beide Fahrzeige vertauscht. Er hat also sein Fahrzeug gegen das gegnerische Fahrzeug fahren lassen. Es war aber genau anders herum. Der zweite Fehler war, dass er statt einem Seitencrash einen Frontcrash rekonstruiert hat. Und dadurch nicht berücksichtigt hat, dass das Fahrzeug sich bei dem Seitencrash gedreht hat und dadurch seine Wirbelsäule entsprechend seitlich verletzt wurde.«
Schwerwiegende Fehler in einem Gutachten und niemandem fällt das auf? Rainer Matuzsak ist kein Einzelfall: Immer dann, wenn Richter in einem Gerichtsverfahren keine eigene Sachkunde haben, müssen sie sich auf Gutachten verlassen. Und die müssten eigentlich objektiv und sorgfältig erstellt werden.

Doch das ist oft nicht der Fall. Prof. Ursula Gresser hat eine Studie zur Unabhängigkeit von Gerichtsgutachten gemacht. Das erschreckende Ergebnis: Viele gerichtliche Gutachter lassen sich beeinflussen von Richtern, die ein bestimmtes Ergebnis wollen.

Prof. Dr. Ursula Gresser, Universität München
»Wir hatten mit allem gerechnet. Aber wir hatten nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass eine nennenswerte Zahl an Gutachtern, bis zu 45 Prozent je nach Berufsgruppe, sagt, wir kriegen gelegentlich Signale von Richtern, die uns sagen, in welche Richtung es gehen soll. Da waren wir völlig geplättet. Ich hatte mit ein oder zwei Fällen gerechnet. Aber nicht mit bis zu 45 Prozent. Es gibt Gutachter, da weiß man schon bei der Namensnennung, wie das Gutachten ausgeht.«
Und die Studie zeigt auch: Noch mehr Einfluss haben die Versicherungen.

Wir treffen Dr. Manfred Müller-Kortkamp. Er ist Arzt und arbeitet selbst als gerichtlicher Gutachter. Er bestätigt: Auch ihm hat eine Versicherung schon einmal Geld geboten.
Dr. Manfred Müller-Kortkamp, HNO-Arzt und Gutachter für Schleudertraumata:
»Ein freundlicher Herr sagte, ich vertrete einen großen Versicherungskonzern. Und Ihr Gutachten ist uns aufgefallen durch seine Sachlichkeit und Qualität. Und wir wären bereit, dass Sie unser Gutachter werden. Und das soll nicht zu Ihrem finanziellen Nachteil sein. Wir wissen, dass die Gutachten unterbezahlt werden. Wir werden darüber hinaus am Jahresende noch ein Erfolgshonorar auf ein Schweizer Konto überweisen, oder Deutschland, wo Sie es hinhaben wollen.«
Er will sich nicht kaufen lassen und lehnt ab. Aber er weiß: In Deutschland gibt es ein riesiges Netz von Gutachtern, die damit gut verdienen.
Dr. Manfred Müller-Kortkamp:
»Wenn ich das heute betrachte, würde ich sagen: Das war ein Angebot zur Korruption.«
Wir fragen nach beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft und wollen wissen, was an den Vorwürfen dran ist, die Versicherungen kaufen sich Gutachter.

Per Email wiegelt man ab:
»Versicherer haben ... kein Interesse an offensichtlich falschen "Gefälligkeitsgutachten", sondern erwarten sachlich richtige und objektive Gutachten.«
Ob Betroffene sich darauf verlassen können, darf in manchen Fällen bezweifelt werden. So wie bei Christian Federl. Bei einer Geschäftsreise stürzt er schwer. Seitdem ist er gehbehindert. Er will Leistungen von seiner Berufsunfallversicherung. Doch die mauert. Auch er muss klagen. Das Gericht bestellt mehrere Gutachter.

Christian Federl:
»Immer dann, wenn ich die Vorschläge von den Gutachtern bekam, war mir eigentlich klar, welche Tendenz, in welche Richtung diese Gutachter votieren würden. Und zwar zu meinem Nachteil.«
Und tatsächlich: Alle Gutachten fallen gegen ihn aus: Der Unfall sei nicht Ursache für seine Beschwerden. In den Gerichtsakten entdeckt Christian Federl erstaunliche Verbindungen - und stellt Befangenheitsanträge.  
 Zwei Jahre später werden drei Gutachter und sogar ein Richter für befangen erklärt.
Christian Federl:
»Der zweite Gutachter wurde als befangen erklärt, weil er außergerichtliche Kontakte, in meinem Fall direkt zur beklagten Berufsgenossenschaft unterhielt.«
Zwar haften Gutachter bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Dass sie aber bisweilen gekauft sind, kann man kaum nachweisen.

Prof.Dr. Ursula Gresser, Universität München
»Ich denke, der Gesetzgeber wäre aufgefordert, das Gutachterwesen jetzt mal auf richtige ordentliche und transparente Beine zu stellen. Und die Zuteilung der Gutachter nach Fachkompetenz durch Los. Keine festen Geschäftsbeziehungen zwischen Auftraggebern , egal ob Versicherungen oder Gerichte, insbesondere bei Gerichten Zuteilung durch Los!«
Christian Federl kämpft seit drei Jahren. Sein Prozess wird noch eine Weile dauern. Er hat  jetzt eine Opfervereinigung gegründet, um gegen das undurchsichtige Gutachtersystem vorzugehen.

Bei Rainer Matuzsak dauert der Streit schon 24 Jahre. Er will jetzt  ein neues Gutachten erstreiten. 120.000 Euro hat ihn das Verfahren bislang gekostet.

Rainer Matuszak:
»Ich frag mich: Wo ist der Rechtsstaat? Wo findet der kleine Mann in Deutschland Recht und Gerechtigkeit? Nur weil ich keinen Rang und keinen Namen habe, werde ich mit Füßen getreten? Da stimmt doch was nicht!«
Von seiner alten Existenz ist nichts mehr übrig. Der einst so starke und lebenslustige Mann fühlt sich als Opfer von Gutachterwillkür, aber er will nicht aufgeben.
Stand: 22.04.2015 21:55 Uhr
Quelle: Das Erste

Do, 16. Apr 15 · 20:15-21:00 · 3sat
Gutachten: mangelhaft
Gutachter haben Macht: In Strafprozessen entscheiden sie oft über ein Leben in Freiheit oder hinter Gittern.
Dokumentation (Gesellschaft - Justizsystem)
Film von Daniela Hoyer und Judith Schneider
Hunderttausende von Gerichtsprozessen werden jährlich in Deutschland geführt. In vielen davon ist die Beweislage dünn - es steht Aussage gegen Aussage. Dann müssen Gutachter helfen.  Wenn Eltern sich um das Sorgerecht für ihre Kinder streiten oder wenn im Strafprozess eine Verurteilung zu "lebenslang" von einer Zeugenaussage abhängt, beauftragt ein Richter oft Gutachter, ihre Expertise beizusteuern.  Als Gehilfen der Rechtsprechung sollen sie ihr psychologisches oder psychiatrisches Fachwissen mitteilen. Häufig geht das Vertrauen in die Gutachter so weit, dass ihre Befunde das richterliche Urteil maßgeblich lenken.  Allerdings ist der Begriff des "Gutachters" oder "Sachverständigen" nicht geschützt. Zwar gibt es in manchen Fachbereichen "staatlich anerkannte" oder "öffentlich bestellte und vereidigte" Sachverständige, die ihre Sachkenntnis durch umfangreiche Zertifizierungsverfahren belegen müssen, jedoch sind die Gerichte frei zu entscheiden, bei wem sie sich fachlichen Rat holen und ob sie den Ausführungen des Experten folgen.  Gutachter verfügen über eine große Macht, ihr fachliches Urteil entscheidet über den weiteren Verlauf von Menschenleben - und doch kommt es vor, dass Gutachten fehlerhaft und unprofessionell unter Missachtung wissenschaftlicher Standards erstellt wurden. Dabei gibt es klare, nach jahrelangen Tests etablierte Regeln, anhand derer Erziehungseignung von Eltern, Glaubwürdigkeit von Zeugen, oder Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit eines Straftäters beurteilt werden können.  Psychologen und Psychiatern stehen mannigfaltige Testverfahren und Methoden für eine Begutachtung zur Verfügung. Welche gelten als aussagekräftig, welche sind Humbug?  Anhand spannender Fälle aus Familien- und Strafprozessen beantwortet die 3sat-Wissenschaftsdokumentation zentrale Fragen rund um Gutachter, ihre Arbeitsmethoden und ihre erstaunliche Macht bei Gericht.  In 3sat steht der Donnerstagabend im Zeichen der Wissenschaft: Um jeweils 20.15 Uhr beleuchtet eine Dokumentation relevante Fragen aus Natur- und Geisteswissenschaften, Kultur und Technik. Im Anschluss um 21.00 Uhr diskutiert Gert Scobel mit seinen Gästen ein verwandtes Thema.

s.a.:
Gerichte geben Gutachtern häufig Tendenzen vor
Seit dem Fall Mollath sind die Vorbehalte gegen vom Gericht bestellte Gutachten gewachsen. Zu Recht, wie nun die Ergebnisse einer Doktorarbeit zeigen. Gerichte signalisieren den Gutachtern häufig, welche Ergebnisse die Richter sich wünschen. Und viele sind wirtschaftlich von deren Aufträgen abhängig.
Interessant, was die Befragten selbst zur Misere des Gutachterwesens sagten. So gab einer an, dass Gerichte gerne Gutachter benennen, die einfache Schwarz-Weiß-Beurteilungen abgeben. Und es gibt natürlich Stammgutachter, die von Gerichten immer wieder eingesetzt werden, weil sie gut sind. Manchmal aber auch nur, weil sie bequem sind. Denn wenn sie Widerworte geben, kann es ihnen ergehen wie Norbert Nedopil, der Koryphäe unter den deutschen Psychiatern. Weil er dem Münchner Schwurgericht zu häufig Gutachten vorlegte, in denen er statt zu Haft zur Psychiatrie riet, wurde er nicht mehr beauftragt - Koryphäe hin oder her.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

Versicherungsexperte Prof. Hans-Peter Schwintowski fordert neutralere Gutachten, bei deren Erstellung die Experten nicht wissen dürften, wer sie beauftragt hat.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

» Weblogs » bernd.heintschel-heinegg's blog
Wie objektiv, unabhängig und neutral sind medizinische, psychologische und psychiatrische Gerichtsgutachter?
Experte: Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg
Rechtsanwalt; VRiOLG a.D.; VRiBayObLG a.D.
  • Nahezu jeder vierte Sachverständige gab an, bei einem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten "in Einzelfällen" eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben.
  • Mehr als 50 % ihrer Einnahmen erzielen 53 von den 235 Gutachtern, die an der Befragung teilgenommen haben. Bei rund einem Fünftel der Gutachter könnte also allein schon aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Neutralität gefährdet sein.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

Mittwoch, 9. April 2014
Studie: Richter signalisieren bei der Auftragsvergabe von Gutachten, welche Ergebnisse sie erwarten wirtschaftliche Abhängigkeit gefährdet Neutralität
weiterlesen

  • Sind diese Richter noch „neutral“ im Sinne der Sachaufklärung?
  • Ist das Gerichtsverfahren dann noch rechtsstaatlich?
  • Kann der Richter dann noch der Wahrheit dienen? ( vgl. BVerfG )
weiterlesen

Montag, 13. Oktober 2014
Wenn Gerichtsgutachten Familien zerstören
weiterlesen

Montag, 29.04.2013
Revolution an deutschen Gerichten
Gutachter müssen künftig ihre Unabhängigkeit beweisen

Einem entsprechenden Antrag auf Initiative der beiden Bürger Horst G. und Josef S. stimmte der Petitionsausschuss des Bundestages nach drei Jahren Laufzeit jetzt überraschend zu. Liefern Sachverständige so genannte „Gefälligkeitsgutachten“ ab, so dürfen sie künftig nicht mehr bestellt werden und verlieren somit Aufträge und ihr Renommee. Der Bundestag muss dem Vorschlag noch zustimmen.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

Verschwörung gegen freie und unabhängige Kfz-Sachverständige
Die Richterin schließt sich der Auffassung an, der Gutachter habe seinen Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass seine Honorare gekürzt werden. Ja, geht´s denn noch besser? Es gibt nichts zu kürzen. Warum schreibt sie nicht gleich, ein Geschädigter hat den Schädiger zu fragen, welchen Gutachter er beauftragen darf.
Weiter zum vollständigen Artikel ...