Mittwoch, 9. Dezember 2015

Heute im TV: In der Gutachterfalle


Mi, 9. Dez 2015 · 20:15-21:00 · SWR BW
betrifft: In der Gutachterfalle

SWR Eberhart Herrmann - Der erfolgreiche Kunst- und Teppichhändler ist vor den Folgen eines vermeintlichen Fehlgutachtens über ihn in die Schweiz geflohen: "Gegen Gutachter hat man keine Chance! - Das wusste ich von meinem Jura-Studium." - Seine Lebensgefährtin ist fassungslos über das deutsche Gutachtersystem.

Wenn die Justiz am Ende ist

Beschreibung
"Was kann mir schon passieren? - ich bin ja gesund", dachte Ilona Haselbauer. Wegen eines Nachbarschaftsstreits stand sie vor Gericht. Sie soll ihre Hausmeisterin mit einem Einkaufswagen verletzt haben. Haselbauer bestreitet das energisch. Dem Richter wird es zu bunt, er will ein psychiatrisches Gutachten. Der Gutachter kommt zu dem Schluss: "Querulatorische Persönlichkeitsstörung! Eine Gefahr für die Allgemeinheit!

Die Sozialpädagogin kommt in eine forensische Klinik - für sieben Jahre!
Kaum zu glauben und dennoch kein Einzelfall.

Der Film stellt drei Menschen vor, die falsch begutachtet und weggesperrt wurden. 

Der Gutachter kommt zu dem Schluss: "Querulatorische Persönlichkeitsstörung! - Das mit dem Einkaufswagen ist erst der Anfang, weitere und noch gefährlichere Straftaten sind zu erwarten." Eine anmaßende, schwer zu belegende Behauptung, so scheint es. Aber wenn ein Gutachter so etwas schreibt, hat das Folgen: Haselbauer gilt nun als "vermindert schuldfähig" und als "Gefahr für die Allgemeinheit".  "Als ich das Gutachten gelesen habe, dachte ich, es geht um einen anderen Menschen. Das bin ich nicht!", so Haselbauer. Der Richter entscheidet, dass die damals 51jährige Sozialpädagogin in eine forensische Klinik muss. Die Gesellschaft müsse vor ihr geschützt werden. Sage und schreibe sieben Jahre wird sie weggesperrt. Haselbauer mag bisweilen unbequem oder auch rabiat sein, aber eine ernsthafte Gefahr?  Sieben Jahre Freiheitsentzug?

Man kann es kaum glauben, aber es ist wahr und sie ist kein Einzelfall, denn auch Michael Perez ist es ähnlich ergangen. Der junge Mann ist ebenfalls seit sieben Jahren in der Forensik - bis heute. Seine Straftat: ein Faustschlag in das Gesicht des Sohnes seines Vermieters. Die beiden hatten seit langem Streit, der immer weiter eskalierte. Seine Schwester kämpft seit zwei Jahren um seine Entlassung: "Das steht doch in überhaupt keinem Verhältnis mehr! Ich habe Angst, dass mein Bruder sich aufgibt", fürchtet Bianka Perez. 

Es gibt wohl eine ganze Reihe von Gutachtern, die Menschen ohne lange zu zögern als "schuldunfähig" oder "vermindert schuldfähig" einstufen, auch bei Bagatelldelikten. Wohl wissend, dass das häufig viele Jahre im Maßregelvollzug bedeuten kann. Die Schwere der Tat spielt da keine Rolle.  Es scheint so, als würden moralische Bedenken oder auch wissenschaftliche Standards teilweise ausgeblendet werden. Persönliches Gerechtigkeitsempfinden, Antipathie, Angst vor Rückfällen und auch die Erwartungen der Auftraggeber spielen offensichtlich eine große Rolle.

Da viele Richter psychiatrische Gutachten nicht oder nur selten kritisch hinterfragen, machen sie die Gutachter zu den eigentlichen Richtern. Das ist vor allem deshalb bedenklich, weil Fehlgutachten nicht die Ausnahme, sondern fast die Regel sind, wie ein Studie vermuten lässt:
In 85 Prozent der untersuchten Fälle wurde die Gefährlichkeit von entlassenen Straftätern falsch eingeschätzt. 
Diese Erfahrung musste auch Eberhard Herrmann machen: der erfolgreiche Geschäftsmann ist vor den Folgen eines vermeintlichen Fehlgutachtens ins Ausland geflohen. Zwanzig Jahre lang hat er gegen seinen Gutachter prozessiert. Der Psychiatrie-Professor hat Herrmann nie persönlich gesprochen, diagnostiziert aber aufgrund von Schilderungen eine "gefährliche Manie". Warum haben Gutachter eine solche Macht? Wer kontrolliert die Gutachter - und die Vergabe von Gutachteraufträgen? Wie wird die Qualität von Gutachten überprüft? - Fragen, die sich nicht erst seit dem spektakulären Fehlgutachten von Gustl Mollath stellen.

Tagtäglich werden Menschen falsch begutachtet - und weggesperrt.  Die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat in den letzten Monaten ihrer Amtszeit die Weichen für eine Gutachterreform gestellt. Eine Reform, die Macht und Willkür der Gutachter einschränken und für mehr Gerechtigkeit sorgen sollte. Sie liegt dem Justizministerium vor und wird kontrovers diskutiert. - Fehlt die Bereitschaft, wirklich etwas zu ändern?

Zusätzliche Information
Die journalistischen Filme zeigen Entwicklungen auf, beziehen Standpunkt, liefern Analysen und erzählen Geschichten einzelner Menschen emotional nah am Zuschauer.

Weitere beteiligte Personen
Thomas Diehl (Autor)
Webseite 

s.a.: Viel Geld für viel Leid:
Wie Gerichtsgutachter Familien zerstören

weiterlesen